Die EU zu verlassen, bringt keine Dividende

Bis zu 2/3 der Britinnen und Briten halten den Brexit inzwischen für einen Fehler und die Populisten, die damit Karriere gemacht haben, müssen im Gegensatz zum normalen Volk wohl am wenigsten unter den Folgen leiden.

Am 9. Juni ist Europawahl. Bei der letzten Europawahl ist zwar die Wahlbeteiligung erfreulicherweise auf über 60% gestiegen, aber angesichts der Bedeutung, die das Europäische Parlament inzwischen erlangt hat und des möglichen Rückgangs der Wahlbeteiligung, ist es eine Fehleinschätzung, dass Europa „weit weg sei“ und irgendwie mit unseren Alltagsleben wenig zu tun hätte. Anhand des Austritts von Großbritannien aus der EU (Brexit) wird lässt anschaulich zeigen, wie wichtig die Europäische Union für unseren Wohlstand ist.

 

Was die Populisten wirklich im Sinn haben

Was haben die Brexit-Befürworter nicht alles versprochen: Angeblich würde die EU pro Woche umgerechnet ca. 400 Mio. Euro kosten, die man besser in das Gesundheitssystem stecken könnte. In Wirklichkeit gab es keine messbare Brexitdividende. Die wirtschaftlichen Nachteile führten insgesamt zu einem Minus. Zudem sollte nach dem Brexit die Migration besser gesteuert werden. In Wirklichkeit leisteten die Migrantinnen und Migranten aus den anderen EU-Ländern wertvolle Arbeit. Nach dem Brexit gibt es ca. 500.000 Arbeitskräfte aus der EU weniger, die an allen Ecken und Enden fehlen. Es hat sich gezeigt, dass es halt doch nicht massenhaft arbeitslose LKW-Fahrer oder Pflegekräfte gab, die nur darauf warteten, die fernbleibenden EU-Arbeitskräfte zu ersetzen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Nicht überraschenderweise hatten diejenigen Recht, die mit Zahlen und Fakten vor einem EU-Austritt gewarnt haben gegen die emotionsbetonte „Unabhängigkeitskampagne“ der Brexit-Populisten.

Bis zu 2/3 der Britinnen und Briten halten den Brexit inzwischen für einen Fehler und die Populisten, die damit Karriere gemacht haben, müssen im Gegensatz zum normalen Volk wohl am wenigsten unter den Folgen leiden. Leider scheint das abschreckende Beispiel des Brexit noch nicht überall durchgedrungen zu sein. Überall drängen europafeindliche und rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien ins Europäische Parlament. Dort sind sie dann nicht, um unseren gemeinsamen Wohlstand zu vermehren oder an konstruktiven, manchmal schmerzhaften Kompromissen mitzuarbeiten, sondern um die gemeinsamen europäische Zusammenarbeit zu stören. Leider liefern auch Kolleginnen und Kollegen aus demokratischen Parteien die entsprechenden Stichworte. Wenn etwas nicht klappt, wird das gerne auf „Europa“ geschoben. Dabei wird wohlweislich verschwiegen, welchen großen Einfluss die Deutsche Regierung und die Deutschen EU-Parlamentarier auf die Entscheidungen in Brüssel und Straßburg haben.

 

Vom Nutzen der Europäischen Integration

Ja, manche Vorschriften erscheinen auch mir unsinnig. Aber sind denn unsere nationalen Vorschriften oder Verwaltungsverfahren immer frei von Widersprüchen. Uns unsinnige oder zunächst nicht nachvollziehbare Vorschriften ausdenken — das können wir auch ohne EU. Wer erinnert sich noch an die Aufregung um die Ablösung der alten Glühbirnen? Inzwischen kommt wohl kaum noch jemand auf die Idee für seine Beleuchtung Leuchtmittel zu verwenden, die achtmal mehr Strom kosten. In der Politik müssen wir auch stärker betonen, was die EU gerade beim Verbraucherschutz für die Menschen getan hat. Wer schon einmal mit ein paar Essensgutscheinen für eine 12-stündige Flugverspätung in den USA abgespeist worden ist, lernt die europäischen Fluggastrechte zu schätzen.

Wir nehmen viel zu viel als selbstverständlich hin, was wir erst durch die europäische Zusammenarbeit errungen haben. Die europäische Freizügigkeit überall in der EU arbeiten und leben zu können. Unseren Wohlstand, der zu einem guten Teil auf dem europäischen Binnenmarkt beruht. Und nicht zuletzt die europäische Friedensordnung, die dazu geführt hat, dass die Staaten der EU seit 79 Jahren keine Kriege mehr gegeneinander geführt haben. Das sind alles keine Selbstverständlichkeiten, wie uns auch der Ukrainekrieg schmerzhaft erinnert. Das wurde von unseren Vorgängerinnen und Vorgängern und den Älteren mühsam erarbeitet. Und das sollten wir alles nicht aus kurzfristiger Verärgerung über einzelne Aspekte aufs Spiel setzen, denn die Europäische Einigung ist und bleibt ein historisches Glück auf unseren jahrhundertelang gebeutelten Kontinent. Gehen Sie zur Wahl und wählen Sie eine europafreundliche Partei. Idealerweise wählen Sie die SPD, die Partei, die sich seit 100 Jahren für die europäische Einigung einsetzt.