Wählen junge Menschen unvernünftig?
Wir müssen reden. Über das Wahlalter. Ja wieder einmal. Aber diesmal nicht über das Wahlalter 16. Zwar sind die ganzen Argumente widerlegt, dass 16-Jährige weniger verantwortungsvoll mit Ihrer Stimme umgehen als 18-Jährige. Sie wählen sogar häufiger und vernünftiger als 35-Jährige. Auch die kommende Kommunalwahl wird das wieder beweisen. Wenn nun aber „Vernunft“ der Maßstab sein soll, müssten wir angesichts der letzten Wahlen in der Welt dringend über ein Höchstwahlalter reden. Es ist leider das Wahlverhalten älterer Menschen, das nicht selten von Unvernunft geprägt ist. Warum sollen Menschen überhaupt wählen dürfen, die schon aufgrund ihrer statistischen Lebenserwartung kaum von den langfristigen Folgen ihrer Wahlentscheidung betroffen sein werden? Wen betrifft denn das Rentenniveau in 40 Jahren oder die Folgen des Klimawandels 2050?
In Amerika wurde Trump vor allem von älteren Menschen gewählt, die sich von dem Versprechen ködern ließen, dass Trump Ihnen die Welt ihrer Jugend zurückbringen würde: Mit rauchenden Kohleschloten und riesigen Autofabriken. Da kann der Mittelschichtsnostalgiker Kleinigkeiten wie getrennten Unterricht für schwarze und weiße Kinder oder das Elend in den Unterschichtslums der Großstädte gerne mal vergessen. Gewählt wurde nicht die Wirklichkeit, sondern eine rückwärtsgewandte Nostalgie. Ein ähnliches Bild in Großbritannien: Anstatt sich ernsthaft mit den Zukunftsfolgen eines EU-Austritts zu beschäftigen, wählten die meist älteren Brexit-Befürworter Ihre Vision einer schönen heilen Welt, wie sie die 50er-Jahre in Großbritannien in ihrer Kindheit erlebt zu haben glaubten.
Was kann es eigentlich Unvernünftigeres geben? Die Hoffnung, man könnte mit Wahlen ein Stück der eigenen Jugend zurückzubringen, ist doch abstrus.
Früher war alles besser …
Nostalgie ist ein schlechter Ratgeber. Seit Beginn der schriftlichen Überlieferungen hat noch fast jede/r die eigene Jugend zum „Paradies“ verklärt, wo die Welt noch in Ordnung gewesen sei. Das merkt man auch in den Bildungsdebatten. Wer versucht ernsthaft über den Sinn und Unsinn von Schreibschrift, Ziffernnoten, Frontalunterricht oder Sitzenbleiben zu diskutieren, erlebt, dass die Debatte unweigerlich irgendwann in Jugenderinnerungen abdriftet.
Schlimmstenfalls kommt dann irgendwann auch noch der „Klaps auf den Popo“, der ihnen schließlich auch nicht geschadet hätte. Das war übrigens eine der heißen Debatten in meiner Jugend. Viele damalige Erwachsene konnten sich gar nicht vorstellen, dass Schule ohne Prügelstrafe überhaupt funktionieren könne, wir würden doch sonst „den armen Lehrer auf Nase rumtanzen“.
Ohne die älteren Wählerinnen und Wähler wäre Clinton Präsidentin der USA, Großbritannien bliebe in der EU. Wenn ich mir den Kampf der Schülerinnen und Schüler in den Vereinigten Staaten gegen die Waffenlobby und ihre Handlanger in der Politik angucke, dann weiß ich jedenfalls sofort, wer rational und wer völlig irrational argumentiert. Die letzteren sind wie der Oberwaffenlobbyist Wayne LaPierre oder Präsident Donald Trump jedenfalls deutlich über 65 Jahre alt.
Die nächste Chance
Nun möchte ich ernsthaft niemanden das Wahlrecht absprechen, auch wenn mich Diskussionen über die angeblich unvernünftige Jugend zunehmend annerven, denn die derzeitige Zustand der Welt wurde halt nicht von den angeblich so unvernünftigen jungen Menschen verursacht.
Es bleibt ja für die jungen Menschen auch noch eine weitere und viel bessere Möglichkeit, dass ihre Interessen besser in der Politik vertreten werden. Geht doch einfach mal zur Wahl und wählt die Parteien und Personen, die sich mit den echten Zukunftsfragen beschäftigen. Oder macht noch besser selbst mit. Bei der Kommunalwahl habt Ihr die nächste Chance. Und auf dem Wahlzettel stehen auch viele Menschen aus Eurer direkten Nachbarschaft. Hätten die jungen Menschen in den USA und in Großbritannien das nämlich gemacht, dann wären uns Trump und der Brexit erspart geblieben. Und das ist wiederum Eure Verantwortung!